-Dietrich Harhues-SENDEN. Der Slogan „Einer für alle – alle für Aziz“ schallte aus vielen Kehlen auf dem Schulhof des Joseph-Haydn-Gymnasiums. Ähnlich lautstark solidarisierten sich die Mitschüler mit dessen jüngerem Bruder Kash, der die Marienschule besuchte. Beide mussten im Mai mit ihren Eltern die Schule, ihre Freunde, Sportvereine und den Ort verlassen, der für sie eine Heimat bedeutete: In Senden war die Familie Schamirov integriert. Was sich nicht zuletzt daran zeigte, dass eine Welle der Solidarität aufbrandete, nachdem die Abschiebung der Familie vollzogen worden war. Dass Aziz und Kash das Land, dessen Sprache ihre Muttersprache geworden war, nie wieder sehen sollten, damit möchte sich ein Unterstützerkreis bis heute nicht abfinden.
Deshalb sind die Solidaritäts-Slogans zwar verstummt, doch hinter den Kulissen geht das Bemühen weiter, dass zumindest die beiden Kinder zurückkehren können. Die größte Hürde, die dem zumindest bis auf Weiteres entgegensteht, hat die Familie selbst errichtet: Denn der Vater hat bei der Einreise nach Deutschland falsche Angaben zu seiner Person gemacht. Die Folge ist eine befristete Wiedereinreisesperre.
Was der Unterstützerkreis aber nicht fassen kann und will, ist, dass nicht zumindest die beiden Kinder eine Perspektive in Deutschland erhalten können. Die Voraussetzung für einen Aufenthalt ist längst gelegt worden: Dr. Jochen Reidegeld, noch stellvertretender Generalvikar des Bistums und künftig leitender Pfarrer und Kreisdechant in Steinfurt, hat sich dafür eingesetzt, dass die Geschwister als Internatsschüler die Loburg besuchen könnten.
Zum vorigen Schuljahreswechsel sollten Aziz und Kash, die in Senden zu den leistungsstarken Schülern gehört haben, bereits in Ostbevern weiter unterrichtet werden. Eine harte Zäsur im Familienleben, die die Eltern jedoch akzeptiert hätten: „Unsere Kinder haben hier keine Perspektive“, bedauert der Vater der Familie, die bei armenischen Angehörigen provisorisch eine Bleibe gefunden hat.
Hoffen und Bangen begleitet die jesidische Familie, die sich in Senden bereits verwurzelt hatte. Zuerst verzögerte es sich bis in den Herbst, dass die Familie einen Termin bei der Deutschen Botschaft in Eriwan erhielt, dann folgte die Ernüchterung: Während im Kreis der Unterstützer und vor allem bei der Familie selbst schon die Vorfreude auf den fest erwarteten positiven Bescheid stieg, platzte dieser Traum am 4. Dezember jäh. Denn die Botschaft versagte ein Visum. „Wir haben so lange auf diesen Moment gewartet. Die Kinder sind sehr traurig und enttäuscht“, schildert der Vater, Avag Schamirov, den WN.
Gleichwohl haben weder die einstigen Wahl-Sendener noch die Unterstützer in der Stevergemeinde die Hoffnung aufgegeben. Hoffnungszeichen sieht auch Reidegeld, der ein Gespräch mit dem Landrat des Kreises Warendorf geführt habe. Außerdem sei der „Fall“ in einer Unterredung der Leitung der Loburg mit Vertretern von Warendorfer Behörden Thema gewesen. Reidegeld erkennt das „konstruktive Bemühen“, zu einer Lösung zu gelangen. Denn es gehe um die Fortsetzung einer in Deutschland begonnenen Schullaufbahn, sodass auch relativ junge Kinder ohne ihre Eltern nach Deutschland einreisen könnten – so jedenfalls die Hoffnung des Vertreters des Bistums, der sich vielfach in humanitären Fragen engagiert.
Beim Kreis Warendorf fällt die Einschätzung der Lage auf WN-Anfrage weniger zuversichtlich aus. Der Landrat habe „lediglich zugesagt, den aktuellen Sachstand zu prüfen“. Das ist bei der Fachabteilung schon geschehen: Für eine Rückkehr „liegen die rechtlichen Voraussetzungen nicht vor“, so das Resümee des Leiters des Ordnungs- und Ausländeramtes, Ralf Holtstiege. Die Wiedereinreisesperre gelte für die gesamte Familie, ergänzt der Behördenleiter. Auf kommunaler Ebene bestehe kein Ermessensspielraum, unterstreicht Holtstiege gegenüber unserer Zeitung weiter: „Nur die Botschaft entscheidet, und die hat abgelehnt.“
Für Aziz und Kash ist das besonders bitter, weil sie sich in Armenien nicht zu Hause fühlen. Ihre Heimat ist noch immer dort, wo sie Freunde, Schulkameraden und Mannschaftskollegen hatten, die sich für sie eingesetzt haben. Armenien hingegen bleibt bisher ein fremdes Land mit fremder Sprache, in dem sie als Angehörige einer Minderheit wenig Chancen haben. Den Alltag jedenfalls prägen bislang triste Umstände: Die Kinder gehen weder zur Schule, noch können sie ihre sportlichen Talente einbringen, so die Familie. Die Unterstützer in Senden setzen sich weiter dafür ein, dass die Talente, Neigungen und Lebensfreude von Aziz und Kash nicht gänzlich verkümmern.